poème / image
Kunsthaus Schloss Wendlinghausen, 3. - 29. Mai 2003
Curator: W.D.
Artists / Projects: Siegfried Anzinger, Jean-Michel Basquiat, Marcel Broodthaers, Angela Bulloch, Georg Herold, Jenny Holzer, Martin Kippenberger, Atelier van Lieshaout, Albert Oehlen, Bettina Pousttchi, Frances Scholz, Stephanie Stein, Rosemarie Trockel, Paloma Varga Weisz
Lectures: Gennadij Ajgi (poet), Wilfried Dickhoff (Aesthetic Theorist, Curator), Siegfried Gohr (Arthistorian), Barbara Köhler (Writer), Veronika Reichl (Designer), Marcus Steinweg (Philosopher), Zsuzsanna Gahse (Writer), Detlev Linke (Neuroscientist)
Rede zur Eröffnung am 2. Mai 2003 (Auszug)
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Das Kunstprojekt poème / image stellt sich der Frage nach dem Verhältnis zwischen Bild und Text in der Gegenwartskunst. In Anspielung auf eine Arbeit von Marcel Broodthaers zu Stéphane Mallarmés Gedicht Un Coup de Dés legt der Name des Projekts eine parallele und differente Beziehung zwischen Bild und Text nahe: Le texte présente des significations, l'image présente des formes (Jean-Luc Nancy). Auf deutsch: Der Text präsentiert Signifikationen, Bezeichnungen, das Bild präsentiert Formen.
Auf der einen Seite, der Text-Seite, die Präsentation von Bezeichnungen, die Bedeutungsmöglichkeiten nahelegen und auf der anderen Seite, der Bild-Seite, die Präsenz der Form, die Augenblicke von Gegenwärtigkeit eröffnet: Die Differenz zwischen Bild und Text ist offensichtlich. Entsprechend gehen Literatur, Philosophie und bildende Kunst sehr unterschiedliche Wege, die sich nur selten kreuzen und wenn sie das tun, dann aus so unterschiedlicher Perspektive, dass die Künstler oft keine künstlerisch ernstzunehmenden Bilder zu lesen bekommen und die Schriftsteller häufig keine literarisch ernstzunehmenden Texte zu sehen bekommen. Unser Vortragswochenende, das unter anderem auch Begegnungen zwischen Kunst und Literatur anbietet, ist ein Versuch, die Differenz zwischen Bild und Text nicht zu leugnen oder zu überspielen, sondern aus verschiedenen Gesichtspunkten offen zu legen und wenn nötig auch zu verschärfen oder vielleicht auch zu vervielfältigen.
Sehr schön artikuliert das die Arbeit von Marcel Broodthaers, die dem Projekt den Titel gab: Un coup de dés - Image. Broodthaers hat im Jahre 1969 zu Stéphane Mallarmés Gedicht Un coup de dés jamais n'abolira le hasard (Der Würfelwurf hebt den Zufall niemals auf), in dem es um den Mensch geht, um den Mensch als ein Zufallswesen, das den Zufall leugnet, eine Bild-Version geschaffen, indem er alle Wörter und Buchstaben durch schwarze Balken ersetzt hat. Vor Augen hat man damit zwei Konstellationen, die eines Textes, der Bezeichnungen vorführt und die eines Bilderbuchs, das Formen präsentiert, womit, unter anderem, auch zwei verschiedene Denkformen angesprochen werden: das verbale und/oder begriffliche Denken und die Wahrnehmung, das Empfindungsdenken. Die Differenz zwischen Bild und Text reißt auf und zwar vor Augen.
Die kuratorische Perspektive von poème / image nimmt die Anregung dieser künstlerischen Geste und eine in vielen Arbeiten zeitgenössischer Künstler spürbare Widerständigkeit gegen die (zum Teil auch geld- und machtpolitisch wirksame) Verwischung von Bild und Text auf, wie sie in den sogenannten neuen Medien, im Fernsehen, in der Werbung und besonders auch in der jüngsten Kriegsberichterstattung vorherrscht.
Frage: Worin besteht die Widerständigkeit der Kunst? Erlauben Sie mir dazu eine, notwendig sehr verkürzte, Bemerkung: Die Widerständigkeit der Kunst ist in dem Maße gegeben wie die Kunst ein Ereignis ist. Kein metaphysisches, ein einfaches, endliches, materielles Ereignis. Nun ist aber ein Ereignis etwas, das man nicht vorhersehen kann, das man auch nicht planen oder gar produzieren könnte. Ein Ereignis ist etwas Unvorhergesehenes, etwas Unverhofftes, das nicht im Rahmen unserer Produktionsmöglichkeiten liegt. Könnten wir es herstellen, könnten wir es vorwegnehmen, wäre es kein Ereignis. Ein Ereignis ist eine absolute Überaschung, die eintritt. Ein Ereignis geschieht. Es geschieht uns, indem es eintritt. Wir erfahren es in passiver Aktivität. Ein Ereignis tritt ein, wie ein unerwarteter Gast, unangemeldet und nicht eingeladen. Es geht in der Kunst nach wie vor darum, etwas eintreten zu lassen, etwas sich ereignen zu lassen, das so noch nicht da war. Es geht darum, etwas zu erfinden, das nicht im Rahmen unserer bestehenden Fähigkeiten und Möglichkeiten machbar ist. Kunst machen heißt also, etwas zu erfinden, das nicht möglich ist. Kunst machen heißt, das Unmögliche erfinden.
Diese Erfindung ist aber selbst unmöglich. Denn wie könnte ich das Unmögliche erfinden? Aber gerade die Tatsache, das es unmöglich ist, macht die Notwendigkeit dieser Erfindung aus. Ihre Unmöglichkeit ist quasi die Bedingung ihrer Möglichkeit. Kunst ist eine Möglichkeit verhießen von ihrer Unmöglichkeit, sagt Adorno. Und ich stimme ihm hierin zu. Ein Ereignis ist nur möglich, wenn es unmöglich ist, denn nur dann ist es die absolute Überaschung, als die es eintritt. Oder mit den Worten Jacques Derridas: Damit es ein Erfindungsereignis gibt, muss die Erfindung zunächst unmöglich erscheinen; das Unmögliche muss möglich werden. Die einzige Möglichkeit der Erfindung ist also die Erfindung des Unmöglichen. Ja, Kunst machen heißt, das Begehren des Unmöglichen für vernünftig halten. Das Unmöglichkeitsbegehren ist die Vernunft der Kunst, gesetzt sie hat überhaupt eine. Hier ist Risiko, hier ist Wagnis, hier ist Scheitern normal und hier ist davon auszugehen, dass kein Ereignis eintritt. Aber es könnte eintreten. Vielleicht. Kunst machen heißt, Möglichkeiten dieses Unmöglichen erfinden, fördern, provozieren, nahelegen, eröffnen.
Kunst machen setzt eine Entschiedenheit voraus, die unterstellt, es gäbe Freiheit. Kunst ist Freiheitsforderung und Freiheitsunterstellung in der eigenen Arbeit. Aber was heißt hier Freiheit? Freiheit ist Anspruch auf Wagnis, es gibt ein Wagnis nur für und durch eine Freiheit. Und was sich wagt, ist schließlich die Freiheit selbst, sagt Jean-Paul Sartre. Natürlich ist es immer möglich und meistens wahrscheinlich und oft auch ziemlich sicher, dass die Welt die Freiheit unmöglich macht. Ja, wahrscheinlich ist die Unmöglichkeit der Freiheit der Normalfall. Aber auch hier gilt: Freiheit ist nur möglich, wenn sie immer auch unmöglich gemacht werden kann. Was in unserer aufscheinenden globalen Weltordnung beinahe tagtäglich immer wahrscheinlicher wird. Die Wege der Freiheit sind schmal und abgründig geworden. Aber nach wie vor gilt: Frei sein heißt, etwas aus dem zu machen, wozu wir gemacht wurden. Ja enger noch, es bedeutet letztlich genau das aus sich zu machen, wozu man gemacht wurde. Aber die Art und Weise dieser Personalisation, die Färbung, die wir dieser Reproduktion unserer gesellschaftlichen Herstellung geben, ist Freiheit. Eine Freiheit, ohne die es noch nicht einmal das Gegenteil von Freiheit gäbe. Die Freiheit des unmöglichen Erfindens des Unmöglichen: das ist die Kunst. Nicht mehr und nicht weniger. Und diese möglichen unmöglichen Ereignisse der Kunst leißten Widerstand, zum Beispiel Widerstand gegen machtpolitische, ideologische, medienrealistische Konstruktionen von Medien-Ereignissen, die gar keine Ereignisse sind, weil sie mit den bestehenden Mitteln bestehende Erwartung bestätigen und einlullen. Widerstand auch gegen die industrielle Produktion von Erlebnissen und Events - Event, das ist das Wort für die Kompensation von Ereignissen, die nicht stattfinden. Die Erlebnisindustrie ist eine Kulturmüll wiederkeuende Kompensationsmaschine, die nur solange funktioniert, wie sie auf der einen Seite unser Begehren beruhigt und neutralisiert und auf der anderen Seite Geld ausspukt. Wehe unserer Event-Kultur, wenn diese Ergebnisse nicht mehr eintreten. Die Wüste wächst, weh dem, der Wüsten birgt (Friedrich Nietzsche).
Wie jüngste Ergebnisse neurologischer Forschungen belegen, hat die multimediale Verwischungspraxis von Bild und Text, eine der Erfolgspraktiken der Erlebnisindustrie, bereits dazu beigetragen, dass sich die Hemisphärenkonstellation im menschlichen Gehirn und mit ihr unsere Realitätswahrnehmung (nicht ganz undramatisch) verändert. Vor diesem nicht zuletzt auch machtpolitischen und ökonomischen Horizont stellen sich viele einfache Fragen noch einmal neu: Was ist ein Bild? Was ist ein Text? Was unterscheidet sie? Welche Beziehungen sind zwischen ihnen möglich? Welche Unmöglichkeiten sind zwischen ihnen begehrenswert? Und stellt sich mit diesen in eins politischen Fragen, nicht auch die Frage der Verantwortung der Kunst innerhalb einer globalisierten verbal-visuellen Eventkultur noch einmal neu?
Als Wirklichkeit auftretende und Wirklichkeit anmaßende Wort-Bild-Inszenierungen beherrschen die Sichtbarkeit nicht nur des öffentlichen Raums und der inszenierten Erlebnisräume, sondern zum Beispiel auch der fernsehbesetzten privaten Räume und auch die inwendige Natur des Subjekts. Die Arbeit an Bildern, die diese eventkulturelle Realität nicht einfach reproduzieren oder variieren, sondern künstlerisch parieren, gewinnt zunehmend eine auch (kultur-)politische Dimension. Eine solche Verantwortlichkeit des Bildes ist den Arbeiten vieler interessanter Künstler eingeschrieben. Sie bringen, innerhalb multimedialer Wirklichkeiten der Erlebnisindustrie, andere visuelle Strategien und Bilder ein, die nicht im Sog einer globalen Indifferenzkultur verschwinden, sondern kleine bild-wörtliche Einsprüche erheben. Kleine Unterbrechungen, Zwischenfälle im Erlebnisraum, die die Verwischung zwischen Wort und Bild im Design der Wirklichkeiten reflektieren, thematisieren und verschieben: bildliche Hoffnungskonstruktionen, die sichtbar zeigen, dass sich die Wort-Bild-Karten herrschender Wirklichkeiten neu mischen liessen. Vielleicht...
Aber wie sieht das aus? Oder: Wie könnte sich so etwas zu sehen geben?
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poème / image zeigt Filme, Zeichnungen, Skulpturen, Gemälde, Objekte und andere Oszillationsträger von Bild und Text: Formationen einer Kunst des Parierens, die als Antworten auf Fragen, die ihnen keiner gestellt hat, sichtbar und lesbar sein könnten. Aber vergessen wir nicht: In der Kunst kommt das Gesagte immer vom Gesehenen. Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne viel Vergnügen und danke für Ihre Aufmerksamkeit.